Freitag, 21.03.2008



Dem Zweifel auf der Spur

Weimar. (tlz) Wie aussagekräftig ist eine Fotografie, die immer nur einen Teil der ganzen Wahrheit zeigen kann? Was verrät ein Papier, auf dem die Hausordnung eines Konzentrationslagers festgehalten ist und wonach kein Aufseher einen Häftling berühren darf? Kann es 56 000 Todesopfer in Frage stellen?

Daniel Gaede stiftet junge Leute an, skeptisch zu sein. Als pädagogischer Mitarbeiter der Gedenkstätte Buchenwald begleitet er seit zwei Jahren Schüler aus der belgischen Universitätsstadt Leuven auf Spurensuche in Weimar. “Snapshot” – Schnappschuss – heißt das Projekt. Aufgabe des Namens ist es, daran zu erinnern, dass die Betrachtung eines Ausschnitts der Wahrheit Schlüsse zulässt, die sich diametral zur ganzen Wahrheit verhalten können.

Gestern hatten 140 Gymnasiasten und Berufsschüler aus Leuven ihren letzten Tag in Weimar. Sie haben sich mit Fragen des Populismus beschäftigt, im Selbstversuch Fotos manipuliert. Aus den Archiven ihrer Heimatstadt hatten sie nach Namen von Menschen gesucht, die in der NS-Zeit verschwanden; in Buchenwald forschten sie weiter und wurden hier und da fündig, woraus sich auch in der Gedenkstätte Erkenntnisse über das Schicksal einzelner gewinnen lassen.

Die EJBW, die die Recherche der Belgier mit getragen hat, legt Wert darauf, gedanklichen Transfer zu ermöglichen: “Was hat das mit uns zu tun?”, reflektiert Frank König diese wichtige Frage. Der Zufall wollte es, dass die jungen Belgier zwei aktuelle Entwicklungen im Weimarer Kosmos live miterleben konnten: den rechten Ãœbergriff auf das Soziokulturelle Zentrum Gerberstaße und die Anmeldung der extremen Rechten zu einer Demonstration in der Innenstadt. Ihre Reaktion: Erstaunen darüber, dass der deutsche Staat die Grenzen der Meinungsfreiheit so weit steckt. Sachte lenkt Daniel Gaede die Wahrnehmung der Jugendlichen aus Leuven aber auch auf belgische Befindlichkeiten, die Kontroversen um den flämischen Nationalismus.

Mit den Jahren haben die Schülerbesuche aus Leuven so etwas wie eine kleine Partnerschaft befördert. Der Kontakt geht auf eine Initiative von Rik van Molkot zurück, dessen Vater Häftling in Buchenwald war. Van Molkot holte einerseits die Ausstellung zur Geschichte des Erfurter Krematorienherstellers Topf & Söhne nach Leuven und ebnete andererseits Leuvener Schulen den Weg nach Weimar. Inzwischen hat sich sogar die Klassik-Stiftung in die Leuvener Jugendarbeit in Weimar eingeklinkt, weil, wie Bildungsreferent Folker Metzger bemerkt, der Nationalsozialismus seinerzeit nicht vor dem Goethehaus halt gemacht hat. Hier geht es um die facettenreiche Verquickung von Berg und Stadt, Kultur und Terror. “Wir wollen die Lehrer damit nicht allein lassen.”

21.03.2008 Von Sabine Brandt

Thüringische Landeszeitung Verlag OHG